Schluss mit der Selbstoptimierung. Komm in deine Arme!
Das Interview mit Dorothee Röhrig, Chefredakteurin der Zeitschrift Emotion, habe ich nicht vorbereitet. Ich wusste vorher nicht, was ich fragen werde oder wo der Themenschwerpunkt in unserem Gespräch liegen wird. Und: Ja, die Kontrolle abzugeben, hat mich ein wenig nervös sein lassen. Meine Übung war, den Moment zu umarmen. Wenn ich bereit bin für das, was geschehen wird, dann kann ich aus der Situation heraus agieren und diese mit gestalten. Dafür brauche ich nur zwei Dinge: Die Bereitschaft, mein Gegenüber offen zu empfangen und das Vertrauen in mich selbst. „Komm in meine Arme!“ als Maxime lässt sich überall anwenden.
Eine Umarmung stärkt und bestärkt. Diese Geste der Zuneigung signalisiert: „Ich schätze dich.“ Und mich selbst? Küssen kann man bekanntlich nicht alleine. Sich selbst liebevoll in den Arm nehmen schon. Aber tun wir das? Meistens genügen wir selbst unserem Anspruch nicht. Ständig gibt es etwas zu verbessern – meinen wir. Damit gehen wir uns selbst in die Falle, denn unsere Vorstellungen bestimmen unsere Wahrheit. Dein innerer Bewerter lässt dich glauben, dass deine Wahrnehmung und deine Bewertungen wahr sind. Dabei ist dein Denken ein Produkt deiner Erfahrungen und Prägungen. Das kannst du mit dem „reality check“ ganz schnell in Frage stellen. Freiheit von alten Glaubenssätzen und ungeprüften Gedankenmustern öffnet den Weg für neue Erfahrungen. „Entlernen“ ist angesagt. Schluss mit der permanenten Selbstoptimierung und her mit der neuen Gelassenheit im Selbst-Sein!
Jede Bewertung kann liebevoll betrachtet werden und verliert damit ihre Schärfe. Wenn du mit dir haderst oder an dir zweifelst, dann möchte genau dieser Aspekt in den Arm genommen werden. Umarmen heißt annehmen und dieser Teil möchte von dir „zurück geliebt“ werden. Einem Freund schenkst du doch auch dein Mitgefühl und Verständnis. Warum dann nicht auch dir selbst? Natürlich kannst du den Grund für deinen vermeintlichen Mangel analysieren und Mittel finden, um ihn zu wandeln. Nur wird es viel leichter, wenn du ihn grundsätzlich erst einmal als zu dir gehörig akzeptierst. Komm in deine Arme …
Erste Hilfe bei Selbstzweifel
Die schnellste und effektivste Methode, um eine ungeliebte Eigenschaft mit neuem Blick zu betrachten, ist der „Lichtblick“. Du änderst deine Betrachtungsweise und schon verändert sich die Ansicht. Im doppelten Wortsinn. Das Schöne daran: Ein neues Gefühl folgt deinem Gedanken. In jeder Schwäche liegen Stärken und umgekehrt. Es ist immer eine Frage der Dosierung. Bevor du dich für eine Eigenart bekämpfst und ablehnst, kannst du dich über einen einfachen Perspektivwechsel neu entdecken. Mit dieser Technik baust du dir selbst eine Brücke und öffnest die Tür für deine Selbstliebe. Übrigens: An Selbstliebe mangelt es dir nicht, denn die Liebe ist und war schon immer da. Es sind nur übermächtige Selbstkritik und ungeprüfte Annahmen, die dir den Blick darauf verstellen. Erinnere dich daran.
Wie gelingt es dir, dich in neuem Licht zu sehen und deine Beurteilung zu korrigieren? Die Technik ist einfach: Fälle dein Urteil über dich und benenne die von dir bemängelte Eigenschaft. Zum Beispiel: „Warum muss ich immer so pingelig sein?! Niemand mag so einen kleinkarierten Geist.“
Mit dem „Lichtblick“ drehst du jetzt den Fokus um und findest die Qualitäten, die in der optimalen Form in „pingelig“ stecken. Bildlich ist es nichts anderes, als den Spot – deinen Blickwinkel – zu versetzen und somit einen Aspekt neu zu beleuchten. In dieser Hinsicht findest du dann in „pingelig“ Zutaten wie: akkurat, genau, sorgfältig, gewissenhaft, hoher Qualitätsanspruch. Ich bin ganz sicher, dass du eine dieser positiven Eigenschaften in dir wiederfinden und erkennen wirst. Was du ablehnst ist deiner Meinung nach nur ein Zuviel davon. Mag sein, dass du Recht hast und es dich hindert. Dennoch bedeutet es nicht, dass du nicht auch über die positiven Fähigkeiten verfügst. Würdige es.
Du bist manchmal zickig? Die Zicke besitzt die Qualität von Eigensinn – einen eigenen Sinn haben und ihn auch vertreten. Du hältst dich im Gespräch zurück und bist (zu) vorsichtig? In Vorsicht findet sich die Gabe der Analyse, des Abwägens, der Fürsorge für dich und andere und die Fähigkeit, anderen Raum zu geben. Ich finde das sind wunderbare Eigenschaften. Es wird Urteile und Bewertungen geben, die du alleine nur schwer in ihre Qualität zurückführen kannst. Logisch, denn du bist von ihnen betroffen und beeinträchtigt. Frage jemand Unbeteiligten und bitte um ein kurzes Brainstorming dazu – ohne deine Geschichte zu erzählen. Fällt die Bewertung weg, können wir unverfälscht Ideen finden.
Das Tolle an der Technik ist, sie lässt sich ebenso gut auf schwierige Zeitgenossen anwenden. Wenn du dein Gegenüber ablehnst, kannst du ihn mit diesem Perspektivwechsel neu entdecken. Ein frischer Blick ermöglicht, dass du den anderen wieder würdigen kannst. Mit dieser Haltung gestaltest du eure Interaktion neu und wandelst das Miteinander. Wenn du dich selbst für alles oder „trotz allem“ umarmen kannst, dann gelingt dir das auch mit deinem Gegenüber. Und so schließt sich der Kreis. Was ist eine Umarmung anderes als ein Zusammenschluss? Ein perfekter Kreis, in dem wir uns in die Arme nehmen. Den anderen genauso wie uns selbst.