Scheinbar – Hinter die Fassade schauen
Wir nehmen wahr und aufgrund unserer Wertewelt – geprägt durch Erfahrungen, Erziehung, Kultur – auch für wahr, was wir sehen und hören. Im Kontakt mit anderen bietet uns das einen wunderbaren Spielplatz für Missverständnisse, Annahmen und (Vor-) Urteile. Unser innerer Bewerter stellt erst einmal nicht in Frage, ob unsere Sicht der Dinge richtig ist. Aus seiner Perspektive haben wir Recht und alle Berechtigung dementsprechend zu reagieren. Bestätigung mag das Ego und so ist es kein Wunder, dass wir unsere Wahrnehmung daraufhin unbewusst filtern.
Ibiza war eine Station meiner Reise und welchen Umständen ich es auch immer zu verdanken habe, die einzige Übernachtungsmöglichkeit, die ich finden konnte, war das Gay Hotel Marigna. Ein bisschen nervös war ich schon, denn ich habe keine Erfahrungen mit Gay Hotels, hatte dafür aber ein paar Ideen dazu im Kopf.
Meine Reise dient mir als tägliches Trainingsfeld und Spielwiese für den Mutmuskel und somit schien diese neue Erfahrung genau zu passen. Als dann die Bestätigungsmail den Zusatz „men only“ trug, war es um meine Gelassenheit kurz geschehen und erst ein Anruf im Hotel hat meine Sorge zerstreut, ich könnte dort falsch oder unerwünscht sein. Angst, Befürchtungen, Zweifel … immer ein Hinweis auf den inneren Bewerter. Hätte ich vorher gewusst, was für einen warmherzigen Empfang man mir dort bereiten und welche liebenswerten Männer ich dort kennen und schätzen lernen würde, ich hätte mich voller Vorfreude in dieses Abenteuer stürzen können.
André Irmler ist einer von ihnen. Er arbeitet normalerweise auf der Aida und verbringt nun fünf Monate auf Ibiza. Für ihn ist es keine Hürde, sich auf immer neue Länder, Menschen und Situationen einzustellen. Im Gegenteil. Sich selbst nicht so wichtig zu nehmen ist sein Rezept und sich immer wieder daran zu erinnern, dass alle Menschen gleich sind. Egal wie sie sich präsentieren oder geben.
Diese Haltung macht es tatsächlich einfacher und hilft immer dann, wenn wir durch unser Gegenüber verunsichert werden bzw. wir durch die Begegnung an unsere eigenen Zweifel geführt werden. Wenn wir uns daran erinnern, dass wir letztlich alle auf einer Reise sind und nach dem Gleichen suchen, wird aus meinen Gegenüber einfach nur ein Mensch. Wie du und ich. Status, Aussehen, Titel & Co. – egal. Sich darauf zu konzentrieren und das Verbindende anstatt das uns Trennende in den Fokus zu rücken, macht es so viel einfacher, entspannt miteinander zu sein. Ibiza mit seinen „beautiful people“ war für mich auf jeden Fall für diese Haltung ein gutes Übungsfeld. Egal wie die Fassade aussieht, dahinter wird es spannend und es lohnt sich, zumindest einmal die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen. „Weißt du mit Gewissheit, dass es wahr ist …?“